Growth oder Value? Welche Faktoren die neue Runde des ewigen Duells entscheiden könnten
Hinter dem Aktienmarkt liegt eine absolute Growth-Dekade – Wachstumswerte schlugen die Value-Konkurrenten meist deutlich. Nun fängt der Kapitalmarkt aber an zu rumoren. Geht die Auseinandersetzung zwischen Value und Growth in eine andere Richtung? Was jetzt wichtig wird.
Wer derzeit täglich die Entwicklung seines Aktiendepots verfolgt, dürfte hin und her gerissen sein von den jüngsten Entwicklungen. Denn an den Märkten ringen Value und Growth miteinander. Das war in den vergangenen Jahren nicht immer so. Die gerade von institutionellen Investoren fast ausschließlich als Benchmark benutzten Russell-Indizes machen beispielsweise in ihren Value- und Growth-Ausprägungen klar, wie groß der Abstand zwischen den beiden Investmentstilen ist. Während die von Warren Buffett so innig geliebten Value-Werte im Russell 1000 Value eine annualisierte 10-Jahres-Rendite von rund 10,65 Prozent erreichten, machte im gleichen Zeitraum das Äquivalent namens Russell 1000 Growth jährlich einen durchschnittlichen Satz von etwa 16 Prozent nach vorne. Auch die MSCI-Indizes zeigen die deutliche Outperformance der Growth-Werte.
In den vergangenen Wochen und Monaten wendete sich das Blatt aber – plötzlich traten die klassischen Value-Branchen hervor. Banken, Energiekonzerne, Konsumgüter und Industriewerte waren plötzlich wieder gefragt. Gleichzeitig wiesen einige Finanzdienstleister auf die sinkende Korrelation zwischen Aktien hin, was heißt, dass deren Entwicklungen inzwischen deutlich voneinander abweichen. Gleichzeitig driften die Streuungen und damit die Unterschiede zwischen den Maximal- und Minimalrenditen einzelner Aktien auseinander. Das macht das Umfeld am Aktienmarkt für Fondsmanager und Investoren nicht unbedingt einfacher – auf welche Faktoren achten die Börse also in einer Transformationsphase von der Growth-Ära hin zu einem Value-Aufleben?
1. Welche makroökonomischen Faktoren entscheidend sind
Auslöser für die zuletzt mitunter erratischen Bewegungen an den Kapitalmärkten waren die langsam, aber stetig ansteigenden Renditen der US-Treasuries. Denn der Weg ist damit nicht weit zu einem bisher verlässlichen Mantra: bei höheren Zinsen profitieren klassischerweise Value-Titel. „Die deutliche Bewegung im amerikanischen Zinsmarkt führte dazu, dass es viele Gewinnmitnahmen bei Aktien gab“, bestätigt auch Martin Stürner, Vorstand bei der PEH Wertpapier AG und Fondsmanager des PEH EMPIRE, merkt aber gleichzeitig an: „Steigende Zinsen wären inzwischen nicht mehr unbedingt schlecht für Growth-Werte. Gerade im Tech-Bereich sind die Firmen nicht mehr fremdfinanziert, sondern eher regelrechte Cashmaschinen.“ Um Entwicklungen, wie die Aktienmärkte sie gerade durchleben, trotzdem frühzeitig zu erkennen, setzt Stürner auf eine tagesaktuelle Analyse von einem Score, der sich aus den Bereichen Makro, Mikro und Sentiment zusammensetzt.
Eine Prognose möchte Stürner deshalb nicht abgeben, vielmehr verlässt er sich auf die Signale seines quantitativen Modells. Ein entscheidender Faktor, der dabei neben den Zinsen wichtig werden dürfte, ist laut vielen Marktbeobachtern auch die ebenfalls seit Anfang des Jahres anspringende Inflation, die ebenfalls eher für Substanzwerte spricht. Und auch die makroökonomischen Entwicklungen spielen in diesem Wirkungsfeld eine Rolle – zwar erhöhte der IWF seine Prognose zum Wirtschaftswachstum, gleichzeitig kämpfen aber noch viele Länder mit der Corona-Pandemie und Lockdowns.
2. Was die Unternehmensdaten verraten
So heftig die Unternehmen auch noch im ersten Halbjahr 2020 getroffen wurden, die Erholung in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres ging schnell von Statten. Viele Unternehmen übertrafen ihre vorher noch gekürzten Prognosen, und gerade die Growth-Werte überzeugten mit stabilen Cashflows und Gewinnen. Unternehmen aus Value-Sektoren, die schon vor der Pandemie fundamental schlechter dastanden, konnten ihre Fundamentaldaten seitdem nicht signifikant verbessern – auf Mikro-Ebene gibt es deshalb wenig Bewegung. Solange sich das nicht ändert, scheint auch eine langfristige Rotation von Growth in Value unwahrscheinlich.
„Unser Mikro-Score zeigt bisher keine Veränderung an, weil die realen Fundamentaldaten der Value-Werte die letzte Marktbewegung nicht unterstützen können“, meint Stürner mit Blick auf die noch immer gute und mit den Zahlen aus dem vierten Quartal 2020 eher noch verbesserte Lage von Growth-Werten – etwa aus dem Tech-Bereich. Der Rücksetzer in der Bewertung könnte also wohlmöglich eher als Kaufchance taugen.
3. Warum auch das Sentiment entscheidend ist
„Während noch immer Lockdowns und hohe Fallzahlen auf der Marktstimmung lasten, zeigt sich ein gewisser Risikoappetit unter Anlegern – angetrieben durch die Aussicht auf diverse Hilfspakete durch die Politik“, analysierte etwa Analyst Pierre Veyret vom Brokerhaus ActivTrades. Gleichzeitig bleiben aber auch Bedenken wegen der Corona-Pandemie, heiß gelaufener Märkte und der makroökonomischen Entwicklungen.
So zeigte sich etwa der renommierte Fear & Greed Index von CNN reichlich unentschlossen und schoss zwischen Gier und Angst hin und her. Allein seit Jahresbeginn wechselte er ein halbes Dutzend Mal die Seiten. Value oder Growth – so richtig will sich noch niemand festlegen. Sollte es aber so weit kommen, könnte das Auswirkungen haben. „Auch wir haben in unseren Scores gesehen, dass das Sentiment der Marktteilnehmer wichtiger wird und die Märkte berührt“, erklärt Stürner mit Blick auf seinen Sentiment-Score. Die aktuellen Verwerfungen machen ihm aber keine Sorgen: „Sollte sich wirklich ein Trendumschwung ergeben, werden wir das in unseren Scores erkennen und entsprechend reagieren.“