CAPinside-Trend Debatte: Sell in May vs. Entscheidungstheorie – warum präskriptive Investments nicht nur im Mai Gefahren bergen
Prognosen und Börsenweisheiten wie „Sell in May“ gehören schon lange zum Investieren dazu – ihr Wahrheitsgehalt ist aber umstritten. Das liegt auch daran, dass Regeln und Prognosen bestimmte Umstände voraussetzen. Die Kapitalmärkte funktionieren aber anders. Ein Exkurs in die Entscheidungstheorie.
Wer sich beim Aktienmarkt auf Mundarten beruft, der landet schnell bei „Sell in May and go away“. Demnach sei es für Investoren besser, im Mai die eigenen Positionen zu verkaufen. Die legendäre Börsenweisheit wird dazu noch gerne mit „but remember to come back in September or better November“ ergänzt, um genauer zu spezifizieren, wann Investoren ihr Geld wieder in die Kapitalmärkte stecken sollten. Ob die Mundart allerdings der Wahrheit entspricht, bleibt umstritten.
So analysierte CAPinside-Experte Christian W. Röhl in einem Beitrag zum Thema jüngst, dass sie in den USA nicht funktioniert, weil den Investoren durch die Pause im Sommer die quartalsweise ausgezahlten Dividenden flöten gehen: „Wer vier Monate keine Aktien hält, verpasst so viel Performance, dass die paar umschifften Crashs die Lücke nicht stopfen können – zumal Kurseinbrüche in den USA oftmals nicht ganz so hysterisch daherkommen wie hierzulande“, erklärt Röhl. Ähnlich sieht es Sven Lehmann vom Family Office HQ Trust bei dem historischen Blick auf US-Titel: „Am besten wäre es gewesen, gar nicht zu verkaufen. Über den gesamten Zeitraum lag die Wertentwicklung bei 9,2 Prozent.“
Börsenweisheiten setzen etwas voraus
Doch auch ein simples Buy & Hold ist nicht immer einfach. 2020 starteten die Märkte gerade in den Sommermonaten durch und straften die Sell in May-Investoren Lügen. Alleine von Mai bis Ende August stieg der S&P 500 um deutlich über 20 Prozent. Trotzdem hätten bei einem Buy & Hold die Investoren den Drawdown im März ungebremst aushalten müssen – was laut einigen Studien gerade Privatanleger nicht schafften und für risikoaverse Investoren noch schwerer sein dürfte. Martin Stürner, Fondsmanager des PEH EMPIRE, sieht deswegen beide Strategien als nicht ausreichend an: „Mit Börsenweisheiten agieren Investoren präskriptiv – und schreiben den Monaten im Vorhinein ihren Erfolg oder ihre Erfolgslosigkeit zu, ohne die kurzfristige Entwicklung der Börse zu verfolgen. Bei Buy & Hold werden wegen Drawdowns dagegen viele Investoren zu schnell zu nervös.“
Stürner plädiert also durchaus für eine aktive Strategie, um Drawdowns zu begrenzen und gleichzeitig Aufschwungphasen mitnehmen zu können – ohne an Prognosen gebunden sein zu müssen. Doch wie gelingt die Balance? Gedankenanstöße für eine differenziertere Auseinandersetzung zwischen Buy & Hold und Sell in May bietet etwa die Entscheidungstheorie. Während bei ihrer präskriptiven Version analysiert wird, wie Entscheider sich verhalten sollten, wird bei der deskriptiven Entscheidungstheorie untersucht, wie die Entscheider sich tatsächlich verhalten. Überträgt man diesen Ansatz auf den Finanzmarkt, wird klar, dass am Ende die deskriptiven Entscheidungen jene sind, die die Märkte bewegen und Kurse beeinflussen – nicht aber die Entscheidungen, die eigentlich optimal oder rational gewesen wären. Diese Erkenntnis ist aber nicht bei allen Investoren verbreitet.
„Insgesamt ist es ein Fehler, Prognosen zu zukünftigen Entwicklungen der Märkte zu treffen, um darauf die eigene Investmentstrategie auszurichten“, bewertet Stürner die Theorie auf Kapitalmarktebene und kritisiert nicht nur Börsenweisheiten, sondern auch Prognosen zu Kurszielen oder Index-Höchstständen. Vollständig rationale Entscheidungen sind an den Märkten gerade in der kurzen Frist selten, Einflussfaktoren verwässern präskriptive Ansätze. Ein Sell in May-Urteil ist demnach nur im Mai selbst und auf deskriptiver Basis zu fällen, wenn Märkte sich entsprechend entwickeln – genauso ist es im Rest des Jahres. Im letzten Jahr wäre bei einer kurzfristigen Analyse eher ein „Buy in May“ das Fazit gewesen.
Deskriptive Entwicklungen entscheiden
Die logische Schlussfolgerung aus diesen Überlegungen sind für Stürner kurz- und mittelfristige Analysen der Märkte, um den deskriptiven Teil des Kapitalmarkts einzufangen. Nicht umsonst rücken Sentiment-Analysen mehr und mehr in die Öffentlichkeit und werden auch Teil von Investmentprozessen, um die klassische Fundamentalanalyse von Unternehmensdaten oder makroökonomische Milieu-Auswertungen zu ergänzen. Stürner hat diese Entwicklung antizipiert und bereits vor einigen Jahren die Strategie des PEH EMPIRE angepasst.
Statt mittelfristige Prognosen und Szenarien als Grundlage des Fonds zu verwenden, hält sich Stürner mit einem quantitativen Ansatz streng an die kurzfristigen und damit deskriptiven Entwicklungen der Märkte. Damit bleibt er flexibel und prognosefrei. Wenn makroökonomische Signale aktuell die Entwicklung der Märkte bestimmen, investiert Stürner auch dementsprechend, genauso ist es bei mikroökonomischen oder Sentiment-Faktoren, die den Markt kurzfristig bewegen können. „Damit halten wir uns alle Optionen offen und können die Verlustängste von Buy & Hold-Investoren lindern, während wir gleichzeitig – losgelöst von Saisonalitäten oder anderen Prognosen – aktiv auf Aufschwünge setzen können“, meint Stürner. Anstatt also auf Börsenweisheiten oder Prognosen zu hören, würde manch ein Investor vermutlich gut daran tun, eher auf die tatsächlichen Ausprägungen der Märkte zu setzen.